Mario Kappenstein - Der Brüllaffe ist los

Der Brüllaffe ist los! – von Mario Kappenstein

Mario Kappenstein - Der Brüllaffe ist los

Es ist Wochenende, die Woche war anstrengend und ich hab mich wirklich darauf gefreut, endlich mal auszuschlafen. Tatsächlich wache ich entspannt auf, kuschle mich in die weichen Federn und denke: „Ahh, was ein wunderbarer Start ins Wochenende.“ Kurz darauf, ich noch gemütlich im Bett,… ein ohrenbetäubendes Geschrei aus dem Wohnzimmer. Es rumpelt und poltert und mir scheint, eine Horde Brüllaffen sind bei uns eingezogen. Und schwups,… die Entspannung beginnt zu schwinden. „Papa, die streiten die ganze Zeit.“ kommt einer meiner Söhne ins Schlafzimmer. „Bitte sag ihnen, sie mögen das ruhiger machen. Das ist mir zu laut!“ Einige Sekunden später erneutes Geschrei im Wohnzimmer. Ich, raus aus dem Bett, im Stechschritt runter ins Wohnzimmer: „JETZT REICHTS ABER. SOFORT ALLE HOCH IN IHRE ZIMMER!!!“ Ziemlich geschockt, watscheln meine drei Jungs an mir vorbei, die Treppe hoch. Bumm! Erste Zimmertür zu. Knall! Zweite Zimmertür zu. Ruhe.

Ich erstmal – etwas schwer atmend – in die Küche. Kaffee.

„Mensch, das hat ja gut geklappt.“ könnte man meinen. Das ging mir jedenfalls nicht durch den Kopf. „Verdammt, so wollte ich das überhaupt nicht machen.“ entsprach eher den Worten, mit denen ich erstmal betröppelt meinem Kaffee schlürfte.

Da passierte es mal wieder: der Ober-Brüllaffe war los!

Ich glaube, Situationen wie diese, kennen die meisten Väter, vermutlich auch Mütter. Die Kids stressen und wir reagieren gestresst. Wir begegnen Geschrei mit Gebrüll. Unwille mit Basta-Aus!

Aber welche Signale senden wir damit an unsere Kinder?

„Du darfst deinem Ärger nicht Luft machen, aber ich schon.“

Ich glaube, da dürfen wir genau hinschauen und überlegen, ob wir diese unbewusst formulierten Zwischenzeilen an unsere Kinder senden wollen.

Und?

„Ich möchte das jedenfalls nicht.“ werden sich viele nun sagen.

Unser Kopf scheint das verstanden zu haben. Theoretisch. In der Praxis fällt es uns bisweilen doch schwer, das anders zu machen. Aber woran liegt das eigentlich?

Keine Ahnung, wie deine Kindheit aussah. Meine war jedenfalls nicht geprägt von Bedürfnisorientierung, Gleichwürdigkeit und Verständnis für (m)eine emotionale Ausdrucksweise. Was ich eher erlebte, war: Disziplin und Gehorsam. Das bedeutete für mich, meinen Ärger zu verbergen, meine Angst zu überspielen und Konflikten aus dem Weg zu gehen. Mein Nervensystem war ständig auf Warnstufe rot. Kurzum: um für meine Eltern, besonders meinen Vater, in Ordnung zu sein, musste ich meine Authentizität aufgeben, mich unterordnen und mich so zeigen, wie man es von mir erwartete. Und das Ganze möglichst leise. Das hatte zur Folge, dass es mir im Verlauf meines Lebens hier und da schwer viel, sowohl mit meinen eigenen als auch den Emotionen meiner Mitmenschen entspannt umzugehen. Wut war ein häufiger Begleiter. Wenn nicht zwingend nach außen, so aber nicht selten nach innen gerichtet. Das ging lange gut und schien nicht weiter problematisch in meinem Leben. Mir war klar, dass mein ab und an explosives Verhalten mit der Art und Weise zu tun haben dürfte, wie ich aufgewachsen bin.

So ist es eben. Komm klar damit!

Und dann wurde ich Vater!

Ich erinnere mich noch gut an die ersten Jahre. Wir befanden uns für drei Jahre in Brasilien, wo ich an der Deutschen Schule gearbeitet habe. Meine Zwillinge waren gerade mal 15 Monate alt als wir dort ankamen und drei Monate später kam unser dritter Sohn in Rio auf die Welt. Die Situation in unserer Familie war massiv herausfordernd und das Miteinander häufig angespannt. Ich merkte bald, wie ich meinen Kindern gegenüber immer wieder ein Verhalten an den Tag legte, das mich erschreckte und unter dem ich als Kind selbst gelitten hatte. Die Folge war bodenlose Scham. Doch wenn man Scham unterdrückt, bahnt sich diese in Form von aggressivem Verhalten unweigerlich den Weg nach draußen. Glücklicherweise fielen mir Bücher von Jesper Juul in die Hände und ich begriff, dass ich Hilfe benötigte, bevor ich großen Schaden anrichtete. Es folgte eine extrem wichtige Zeit, in der ich mich selbst besser kennenlernen durfte und mein inneres Kind Heilung erfuhr.

Heute, acht Jahre später, blicke ich auf eine Zeit voller wertvoller Erfahrungen zurück, tiefer Erkenntnisse und heilsamer Begegnungen. Fühle mich wohl und entspannt in meinem Vatersein. Vermutlich habe ich mehr von meinen Kindern lernen dürfen, als sie von mir. Dafür bin ich sehr dankbar.

Und trotzdem: auch heute noch geht manchmal der Brüllaffe mit mir durch. Immer seltener. Immer schneller nehme ich wahr, was hier gerade passiert. Immer besser gelingt es mir, mich nicht selbst dafür zu verurteilen.

Darin liegt für mich der Schlüssel zu guter und gelingender Vaterschaft: Ja, ich bin nicht perfekt. Ich bin gut so, wie ich bin. Ich bin nicht mein Vater! Ich übernehme die Verantwortung für mein Verhalten und sorge dafür, dass wir (wieder) in liebevollen Kontakt kommen.

Ich sorge dafür, dass mein innerer Brüllaffe sich wieder mit einer leckeren Banane entspannen und sich in Ruhe lausen kann. Und mal ganz ehrlich, der Brüllaffe hat mich auch lange Zeit geschützt und mir Kraft gegeben, ist für meine Integrität eingestanden und hat eben auch nur sein Bestes getan. Habe ich diesen Teil in mir früher verabscheut und mich dafür geschämt, ist mir heute klar, dass wenn ich meinen ungeliebten inneren Anteilen mit einem NEIN begegne, kein JA für mich selbst gelingen kann. Deshalb: JA. Und zwar zu allem, was mich als Mensch ausmacht.

Zurück zur Geschichte: Nach einem Kaffee und einem kurzen inneren Zwiegespräch mit meinem Brüllaffen, konnte der sich schnell wieder in seine Astgabel zurückziehen und sich entspannt seiner Herde zuwenden. Und ich auch. Es dauerte nicht lange, bis die Türen wieder weit offen standen, die Affenbande (ich eingeschlossen) wieder miteinander feixen, lachen und spielen konnten.

„Papa, das war ja total ungewohnt, dass du uns aufs Zimmer geschickt hast.“

„Ja, das sehe ich genau so. Da hatte der Ober-Brüllaffe das Sagen und nicht der Erwachsene Papa.”

Ich bin überzeugt davon, dass wir Väter bei unseren Kindern enorm viel Eindruck hinterlassen, wenn wir uns mit all unseren Anteilen zumuten, Fehlverhalten offen eingestehen und Verantwortung für die Beziehung innerhalb unserer Familie übernehmen.

Und wenn es mal wieder nicht so geklappt hat, wie geplant: durchatmen und liebevoll mit sich selbst sein.

Manchmal, braucht es nur die Dauer einer guten Tasse Kaffee.

euer (nicht-mehr-so-häufig-losrasender) Brüllaffe

Mario Kappenstein

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