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Gute Elternvorbilder

Ein familylab.de-Artikel – Interview mit Jesper Juul

Sie gehen davon aus, dass der Mensch von Geburt an ein sozial und emotional kompetentes Wesen ist? Kinder erleben sich in Beziehung zu anderen, sind ursprünglich sozial. Man muss sie nicht dazu erziehen. Sie haben die sozialen Fähigkeiten und auch den Wunsch, sozial zu sein.

Was können Eltern tun, um diese Fähigkeiten zu stärken?

Eigentlich nichts außer gute Vorbilder zu sein! Es braucht keine Stärkung, Eltern sollten die Entwicklung dieser Fähigkeiten nicht stören.

Was stört?

Wir Eltern denken, dass wir die Kinder beeinflussen, manipulieren müssen. Nur keine langen pädagogischen Vorträge! Damit kann ein kleines Kind nichts anfangen. Das ist Ideologie, Moralvorstellung. Wir sollten mehr nachdenken, und uns fragen, was wir wirklich wollen. Wollen wir Kinder erziehen und was erzieht dann? Wir Erwachsene glauben, Erziehung ist, wenn wir so unsere Erziehungsuniform anziehen. So ist es aber nicht. 80, 90 Prozent der Erziehung passiert sozusagen „zwischen den Zeilen“: Wie gehen wir miteinander um, als Erwachsene, mit den Kindern, als Paar, wie gehen wir mit anderen Erwachsenen um? Das erzieht. Denn Kinder lernen durch Beobachten, durch Imitation.

Es geht in der Erziehung um das Vorbild?

Ja, das Kind kopiert und kooperiert. Erziehung ist ja nur deshalb erfolgreich, weil Kinder kooperieren. Sie machen genau das, was sie gelernt haben. Auch von sogenannten schlechten Beispielen. Mütter glauben, sie sind ein schlechtes Vorbild, wenn sie sich aufregen, brüllen. Ich sage, das schadet niemand, das ist ein gutes Vorbild, weil es emotional, aufrichtig ist. Von Barbie-Eltern lernt man nichts über andere Menschen.

Was verstehen Sie unter ‚Barbie-Eltern’?

Diese Eltern pflegen eine moderne, süße, romantische Art von Vernachlässigung. Alles ist so nett, so süß, wie in Watte gepackt. Das sind Eltern, die immer bedienen, immer für die Kinder da sind. Sie fragen: „Was darf es sein, was soll ich machen?“ Benehmen sich wie Angestellte in der eigenen Wohnung. Kinder bekommen alles, was sie sich wünschen. Die wahren Bedürfnisse des Kindes werden aber nicht erfüllt.

Welche Bedürfnisse sind das?

Das wichtigste Bedürfnis ist Führung durch die Erwachsenen.

Wollen Sie, dass die Erziehung wieder autoritärer wird?

Nein, nein! Führung heißt, als Eltern zu zeigen, dass man ein Mensch mit eigenen Bedürfnissen, eigenen Grenzen ist. Eltern sollen Menschen aus Fleisch und Blut sein.

Sie sollen authentisch sein?

Ja, das ist sehr wichtig. Eltern sollen so authentisch wie möglich sein. Viele Eltern spielen Elternsein, sie versuchen, alles richtig zu machen. Aber das ist unmöglich. Das Kind braucht seine Eltern als Menschen, nicht nur als Serviceeinrichtungen. Ich beobachte eine neue Tendenz: Junge Eltern reden wieder über sich selbst in der dritten Person. „Nein, die Mutti will nicht“ oder „Komm zum Papi …“ Dann kommen die nach ein paar Jahren zu mir und sagen: „Unser Kind hört nicht zu.“ Ist ja logisch, wenn man über sich selbst in dritter Person redet, gibt es keinen direkten Kontakt, keinen emotionalen Kontakt.

Warum machen das die Eltern?

Ich glaube, das kommt aus einer Verunsicherung heraus. Man will alles richtig machen. Sein Kind nicht verletzen. In Schweden zum Beispiel gab es die letzten Jahre einen Trend, da wollten die Eltern unbedingt glückliche Kinder haben. Ich sage den Eltern immer, erstens ist es unmöglich und zweitens ist es furchtbar für ein Kind, mit Eltern zu leben, die wollen, dass es immer glücklich ist.

Glückliche Kinder wünschen sich doch alle Eltern.

Es ist auch erlaubt, das zu wünschen. Aber es macht einen Unterschied, ob man sich das wünscht oder ein Projekt daraus macht. Das bedeutet ja, dass das Kind nie unglücklich sein darf. Frustration ist verboten, Konflikte sind verboten. Kommen diese Kinder in den Kindergarten, die Schule, verhalten sie sich ohne Empathie.

Warum ist die Empathie verschwunden?

Das Kind hat ja die letzten Jahre mit zwei Schauspielern gelebt. Menschen, die immer zur Verfügung stehen, keine Konflikte wollen, keine eigenen Bedürfnisse haben. Wie soll so ein Kind lernen, dass andere Menschen Bedürfnisse, Gefühle und Grenzen haben?

Eltern sollen Gefühle zeigen, aber auch klare Grenzen signalisieren?

Sie müssen das tun, was sie auch aus anderen Bereichen ihres Lebens kennen: Sagen, was sie wollen oder nicht wollen. Kinder kooperieren wunderbar, man muss es ihnen nur ohne Belehrung sagen. Kleine Kinder wollen eigentlich nur eines, ihre Eltern glücklich machen. Wichtig ist, dass die Eltern mit ihrem Kind leben, nicht mit ihren Vorstellungen. Das kennen wir auch aus Liebesbeziehungen: Die ersten sieben bis neun Jahre leben wir ja mit unser Phantasie zusammen.

Wer lehrt Eltern, was für Kinder richtig ist?

Ich halte nichts davon, wenn Experten Elternführerschein und Elternbildung fordern. Eltersein kann man nur zusammen mit den Kindern lernen. Wichtig ist, die Kinder zu beobachten, dadurch als Erwachsener zu lernen und dann den Kindern Fragen zu stellen. Sich auf einen spannenden Lebensabschnitt einlassen, bereit sein zu lernen, über sich selbst und das Kind. Kindern fühlen sich dabei wertvoll, merken, dass sie das Leben der Eltern bereichern.

 

Zur Person: Jesper Juul (70), ist Familientherapeut und Autor. Sein bekanntestes Buch „Das kompetente Kind“ wurde in 13 Sprachen übersetzt. Bevor Jesper Juul Geschichte und Religion studierte, war er Schiffskoch, Erdarbeiter, Tellerwäscher und Barkeeper. Nach dem Studium arbeitete er als Lehrer und Sozialarbeiter, ließ sich schließlich zum Familientherapeuten ausbilden. Er ist Mitbegründer des Kempler Institute of Scandinavia in Odder/Dänemark und gründete FamilyLab International, ein Programm zur Unterstützung von Eltern, das in sechs europäischen Ländern angeboten wird.

familylab – Eine Werkstatt für Familien Inspiration und Begleitung will »familylab« Menschen anbieten, die sich in Zeiten der Veränderung auf das Abenteuer Familie einlassen. Jesper Juul: „Wir sehen neue Familienformen und Formen des Zusammenlebens, die Geschlechterrollen befinden sich in der Auflösung, und mitten in diesem Ganzen sollen wir uns Kindern und Jugendlichen gegenüber verhalten, die einen ganz neuen Status, sowohl in der Familie als auch in der Gesellschaft bekommen haben. “Mit »familylab«, dem „Familienlabor“ bekommen Eltern Unterstützung beim „Finden, Erfinden, Experimentieren mit ihrer eigenen Art und Weise, eine Familie zu entwickeln“ (Juul). Trainerinnen und Trainer begleiten offene oder geschlossen Gruppen von Freunden, Vereinen, Unternehmen. Keine Schule sei »familylab«, betont Juul, sondern eine Werkstatt. Denn zur Mutter, zum Vater könne man sich nicht ausbilden lassen, „Ausbildung“ sei nur im tagtäglichen Zusammenspiel mit Kindern und erwachsenen Partnern möglich und sei ein lebenslanger Prozess. Lernziel in der Familienwerkstatt ist die Umsetzung liebevoller Gefühle in liebevolle Handlungen. ©Jesper Juul

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