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Endlich Ferien! Zusammenarbeit statt Konfrontation

Geschafft, endlich sind Ferien. Die haben wir nach dem vergangenen Schuljahr auch dringend
nötig. Nicht nur unsere jüngste Tochter hat dieses Schuljahr unheimlich viel Kraft gekostet,
sondern auch uns Eltern und die Geschwister.
Kaum zu glauben, dass ich hier vom ersten Schuljahr meiner Tochter spreche. Wo doch alles mit
so viel Vorfreude und Neugierde begann und schon nach wenigen Wochen für uns alle zum
täglichen Kampf wurde. Fast täglich bekam ich Emails von den Lehrerinnen, in denen sie mir
schrieben, wie meine Tochter den Unterricht gestört hatte oder auf dem Pausenplatz in
Streitereien verwickelt war. Die Lehrerinnen informierten mich dann meist auch, mit welchen
Massnahmen sie auf das inakzeptable Verhalten unserer Tochter reagieren mussten. Eine beliebte
sogenannte «Konsequenz» war es, die Siebenjährige in eine andere Klasse zu schicken, nicht selten
in eine der Klassen, in der ihre Geschwister waren. So war das Fehlverhalten auch regelmässig das
Gesprächsthema unter den Geschwistern beim Mittagstisch; noch bevor ich die Email der
Lehrerinnen überhaupt gelesen hatte.
Las ich die Nachrichten dann, war ich vor allem ratlos – was konnte ich tun? Ich war nicht dabei
in der Schule, wusste nicht warum mein Kind ein anderes angeblich beschimpft hatte? Die
Erklärungen meiner Tochter klangen immer sehr plausibel. «Warum hast Du dem Mädchen
gesagt, dass es das dickste Kind der Schule ist?» «Sie hat mir gesagt, ich bin die Kleinste». Klang für
mich einleuchtend – für eine Siebenjährigen ist «klein» mindestens so schlimm wie «dick»!
Ich versuchte dennoch alles, um sie zu angepasstem Verhalten zu bewegen. Doch auch sie wurde
immer verzweifelter. Durch das ständige «Strafversetzen» in andere Klassen wurden ausserdem
ihre Lücken im Schulstoff immer grösser. Glücklicherweise ging unsere Tochter dennoch zu
jeder Zeit sehr gerne zur Schule. Sie liebte ihre Klassenlehrerin, wie die meisten Erstklässler, und
war auch stets wissbegierig und motiviert, wie es die meisten Erstklässler sind. Der Kummer über
all die Ablehnung, die sie erfuhr, war ihr dennoch deutlich anzumerken. Nächte lang diskutierten
wir Eltern, wie wir die Situation entschärfen konnten.
Dann wurden wir zu einem Gespräch mit allen beteiligten Lehrerinnen, sowie der Schulleiterin
und der Schulsozialarbeiterin geladen. Wieder diskutierten wir Eltern intensiv, wie wir die
«andere Seite» davon überzeugen konnten, dass die Bestrafungen die Lage nur verschlechterten –
denn nichts anderes als Strafen waren für uns die Ausgrenzungen aus der Klasse. Wir sammelten
Argumente und sogar Artikel, um gewissermassen «bewaffnet» in den Kampf zu ziehen. Oder
vielleicht eher, um uns zu zweit auf der Anklagebank fünf Klägern gegenüber verteidigen zu
können.
Zum Glück kam es jedoch weder zu einem Kampf noch zu einer Anklage!
Auf dem Weg zu der Besprechung in der Schule beschlossen mein Mann und ich, dass wir «ohne Waffen» in
dieses Gespräch gehen wollten. Wir nahmen uns vor, niemanden überzeugen zu wollen. Wir wollten
lediglich von uns reden und unsere Ratlosigkeit zum Ausdruck bringen.
Und so eröffneten wir das Gespräch damit, dass wir schilderten, wie es uns als Eltern, uns als
Familie und unserem Kind geht. Wie sich diese vielen Emails mit den Schilderungen des
Fehlverhaltens unserer Tochter anfühlten. Wie sich unsere Kleine fühlte, wenn sie vom geliebten
Turn-oder Schwimmunterricht ausgeschlossen wurde oder in die Klasse ihrer Geschwister musste,
wenn sie auf dem Pausenhof Streit gehabt hatte oder während des Unterrichts gesungen hatte (ja,
sie hat tatsächlich während des Unterrichts gesungen!).
Wir drückten unser Verständnis dafür aus, wie schwierig es für die Lehrer sein musste, bei
derartigen Störungen zu unterrichten.
Wie sich das Gespräch dann entwickelte, hätten wir beide nie erwartet: Alle Anwesenden
reagierten wirklich betroffen. Wir konnten gemeinsam überlegen, wie wir die Erstklässlerin
unterstützen konnten. Alle hatten plötzlich Ideen und die Schulleiterin stellte sofort die
notwendigen Ressourcen zur Verfügung. Die Schulsozialarbeiterin stellte klar, dass derartige
Massnahmen, wie das Versetzen in andere Klassen oder Ausschliessen vom Unterricht, künftig
nicht mehr vorkommen dürften. Sie erklärte dies auf eine Art, die völlig ohne
Schuldzuweisungen auskam.
Und die Massnahmen kamen tatsächlich von diesem Tag an nicht mehr zum Einsatz. Die zuvor
fast täglich erhaltenen Mails blieben plötzlich aus. Und auch das Fehlverhalten unserer Tochter
bleibt offenbar immer häufiger aus, wie wir in Gesprächen mit den Lehrerinnen erfuhren.
Unsere Tochter durfte doch noch in ihrem Tempo in der für sie neuen, unbekannten Welt
«Schule» ankommen. Vielleicht hat sie dafür ein bisschen länger gebraucht als andere Kinder, aber
die Lehrerinnen, die Schulleitung und die Schulsozialarbeiterin haben ihr diese Zeit und die
nötigen Hilfestellungen gegeben.
Niemals hätten wir das erreicht, hätten wir Fronten zwischen der Schule und dem Elternhaus
aufgebaut. Niemals hätten alle Beteiligten den Blick auf das Kind gerichtet, hätten wir Eltern mit
Vorwürfen und Belehrungen aufgewartet.
Puh, endlich Ferien! Dieses erste Schuljahr hat uns alle viel Kraft gekostet. Aber wir konnten
auch wertvolle Erfahrungen machen. Wir konnten erleben, wie wirksam es ist, wenn wir von
unseren Gefühlen sprechen, anstatt andere von unserer Meinung überzeugen zu wollen. Und so
starten wir in ein paar Wochen positiv gestimmt und neugierig in das zweite Schuljahr unserer
Tochter.
Der Name der Eltern ist der Redaktion bekannt

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Foto von Leon S auf Unsplash

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