Kinder wollen zusammenarbeiten – und manchmal eben nicht:  Integrität und Kooperation – von Corinna Simpson

 

Kinder lernen in den ersten Lebensjahren nicht nur grundlegende Fähigkeiten und Fertigkeiten auf der kognitiven und motorischen Ebene. Sie eignen sich ebenso eine Fülle von Sozialkompetenzen der Gemeinschaft an in der sie leben.

Unser angeborener und lebensnotwendiger Wunsch, zu einer Gruppe zu gehören, spielt hierbei eine wichtige Rolle. Kleine Kinder haben einen absoluten Drang zur Kooperation mit den Menschen, die sie lieben und von denen sie abhängig sind. Kinder wollen dazugehören und von uns das lernen, was sie in der Welt, in der sie leben, an Fähigkeiten benötigen. Das ist überlebenswichtig.

Kooperation ist unsere angeborene Fähigkeit zur Zusammenarbeit, jemandem nachzueifern, sich in einer Gesellschaft einzuordnen und Kompromisse einzugehen. Bis zum Alter von 3 bis 4 Jahren kommt die Kooperation dadurch zum Ausdruck, dass Kinder die Verhaltensweisen oder emotionalen Reaktionsmuster von den Erwachsenen kopieren, die ihnen nahe sind. Für die Entwicklung der Sozialkompetenzen sind Spiegel-neuronen also wesentlich.

Kooperation im erzieherischen Sinne meint oft, dass die Kinder tun, was gesagt wird, und mitmachen, was alle machen. Kurz gesagt: Es meint eher das Funktionieren.

Praxisbeispiel: Emma geht über ihre Grenzen

Wenn die 14 Monate alte Emma ihren Morgen in Worte fassen könnte, würde sie vermutlich Folgendes beschreiben: „Ich bin heute früh von Mama geweckt worden und obwohl ich noch müde war, habe ich mich anziehen lassen. Dann wollte ich gern mit Mama spielen, aber sie sagte, das geht jetzt nicht, wir müssen los. Also habe ich mir die Schuhe anziehen lassen, weil selbst anziehen zu lange dauert, obwohl ich gern allein die Schuhe angezogen hätte. In der Kita habe ich dich nicht gleich gesehen. Die fremde neue Erzieherin hat mich empfangen und gesagt, sie nimmt mich auf den Arm. Das wollte ich nicht, aber sie sagte, sie sei auch lieb. Ich hab gemerkt, dass Mama Druck hat. Dann habe ich mich in den Kreis zu den anderen gesetzt, dabei wollte ich so gern auf deinen Schoß und noch kuscheln. Das Singen hat mich abgelenkt und ich habe mitgemacht…“

Säuglinge und kleine Kinder entscheiden sich eher für die Zusammenarbeit, als dass sie ihre eigenen Grenzen wahren. So klein wie sie sind, haben sie einfach nicht die Möglichkeit, für ihre Werte und ihr Recht auf Unverletzlichkeit einzustehen. Dieses ist eine Ihrer wichtigsten Aufgaben als Erzieherin. Die Integrität eines Kindes zu wahren, bedeutet, dessen Gefühle, Bedürfnisse, persönliche Grenzen und sein Recht auf Unverletzlichkeit durch Übergriffe zu schützen.

Praxisbeispiel: Alles zu viel

Emma hat bis hierhin alles mitgemacht, obwohl sie das mehrfach nicht wollte und ganz andere Bedürfnisse hatte. Nun ist der Morgenkreis vorüber und da die Sonne so schön scheint an diesem milden Herbsttag, beschließen die Erzieherinnen, nach draußen zu gehen. Emma kann nicht mehr. Sie möchte kuscheln, vor sich hin spielen, auf dem Boden liegen. Paul kommt an ihr vorbei, etwas zu dicht und etwas zu laut. Emmas Hände zucken. Ihre Bezugserzieherin hat Emma gesehen. Sie kniet sich zu Emma: Das ist alles viel gewesen heute Morgen. Jetzt möchtest du gern Ruhe.” Emma ist erleichtert und setzt sich zu ihr auf den Schoß.

Die Integrität des Kindes zu wahren, bedeutet auch, es mit Respekt zu behandeln. Kinder, die nicht mehr zusammenarbeiten wollen und sich weigern, haben schon zu viel innerhalb der Krippe und der Familie auf Kosten der eigenen Integrität kooperiert. Die Integrität kann auf ganz anderen Gebieten geopfert worden sein, als in jenen, die für den Konflikt verantwortlich sind. Wenn also das Kind sich quer stellt, geht es nicht darum, es zur Zusammenarbeit zu bewegen, sondern dem Kind zu helfen, die eigene Integrität besser wahren zu können. Hierbei benötigt das Kind in jedem Fall Hilfe und einen Menschen, der das sieht.

 

Auszug aus „Kinder in der Krippe achtsam begleiten. Frühe Förderung und Betreuung von Krippenkindern“ von Corinna Simpson, 2021, Klett Kita Verlag

Profil von Corinna Simpson
www.beratungspraxis-simpson.de

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