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Dürfen Kinder NEIN sagen? – ein Erfahrungsbericht

Mein Enkelsohn, heute 10 Jahre alt, war stets rebellisch. Er hat seinen eigenen Kopf, den er auch durchsetzen will. An und für sich richtig, wir wollen ja, dass die Kinder selbstständig werden und die eigene Meinung vertreten. In der Praxis ist dies aber alles andere als einfach. Auch ich hatte meine Kämpfe, sei es mit meinen Kindern damals, sei es mit meinen Enkeln heute, die viel bei mir sind. Da fing ich an mir Gedanken darüber zu machen, ob es nicht auch anders geht. Es kann doch nicht immer bei jeder Kleinigkeit endlose Diskussionen oder Schimpftiraden geben.

Ich habe mich zu der Zeit mit den Büchern des Familientherapeuten Jesper Jul auseinandergesetzt. Da habe ich seine These – ein Kind darf auch NEIN sagen – an einem ganz konkreten Beispiel ausprobiert. Alle kennen wir die Situation: Wir wollen, dass das Kind etwas tut, eine Anordnung befolgt. Heute sprechen wir ja nicht mehr einfach nur im barschen Ton einen Befehl aus – was zwar immer noch häufig gang und gebe ist, sondern ersuchen höflich darum. Glauben wir jedenfalls. Irgendwann hab ich meinen Irrtum begriffen.

Klare Ansagen erwünscht

Meine erwachsene Tochter hat mir erzählt, sie hätte sich immer fürchterlich geärgert, wenn ich zu ihrsagte: „Möchtest Du den Tisch decken?“. Sie hätte gerne NEIN gesagt, sich aber nicht getraut. Ich war der Meinung, ich hätte sie mit meiner Frage gelockt, mir zu helfen. Tatsächlich habe ich sie aber gefragt, ob sie es tun möchte und sie wollte nicht. Sie hat es widerwillig dann halt doch gemacht. Jesper Jul sagt, Kinder brauchen klare Ansagen darüber was wir von ihnen wollen. Es ist ein Unterschied, ob ich frage: „Möchtest du Spaghetti oder Spatzln zum Mittagessen oder ob ich frage, möchtest du mir helfen?“ („oder nicht“ steckt in der Frage ja drinnen).

Nachdem ich mir darüber klar wurde, hab ich’s bei meinem Enkel ausprobiert. Ich fragte: „Hilfst du mir aufräumen?“ Prompt kam die Antwort: „NEIN“. Na ja, ich hatte auch keine Lust, den Kram wegzuräumen, den er liegengelassen hatte. Entsprechend war ich wütend, hab mich aber beherrscht und nur gesagt: „OK passt.“ Eingedenk der Worte von Juul – KINDER BRAUCHEN KLARE ANSAGEN. Eine klare Ansage war das ja nicht, es war eine Frage. Die Reaktion meines Enkels war mehr als interessant: Er hat mich mit großen Augen angeschaut. Ich fing an wegzuräumen und plötzlich half er mir. Wir haben nicht weiter darüber gesprochen. Das nächste Mal, als ich etwas von ihm wollte, hab ich klar gesagt: „Bitte, trag das Glas in die Küche.“ Dies war es eine klare Ansage, dass ich etwas von ihm wollte. Ich glaube, er wusste nicht so recht wie er mit der Situation umgehen sollte und hat ein bisschen gezögert. Ich habe aber nichts weitergesagt und machte meine Arbeit weiter. Er hat das Glas genommen und in die Küche gebracht. Ich hab danke gesagt, und damit war’s erledigt.

Cool bleiben

Ich fand es äußerst interessant, wie unterschiedlich sich die gleichen Situationen entwickelt hatten. Ich hab dann ein paar Mal ähnliche Situationen mit beiden Varianten bewusst durchgespielt und dabei festgestellt: Bei einer klaren Ansagen darüber was ich von ihm wollte (selbstverständlich freundlich), hatte ich keine Probleme mehr. Es kann schon passieren, dass er sagt: „Oma, ich hab jetzt wirklich keine Zeit.“ (Was wohl meistens eher mit „keine Lust“ übersetzt werden müsste) Normalerweise aber klappt es.

Ich hab aber gelernt, dass „cool“ bleiben und über das eigene Verhalten nach zu denken, die bessere Reaktion ist, als mit Drohungen, Niedermachen und schlechtem Gewissen-Machen zum Ziel kommen zu wollen. Wenn die Kinder dann trotzdem FOLGEN (wie wir es aus unserer früheren Erziehung kennen) ist das Ergebnis für keinen der Beteiligten befriedigend.

Bei dieser Geschichte bin ich mir auch darüber klar geworden, Kinder müssen ja lernen NEIN zu sagen, damit sie im späteren Leben wissen, WANN und WIE sie NEIN sagen sollen und Eltern und Großeltern können ihnen dabei helfen.

Quelle • www.familie.it

mehr im Buch •  08 • familylab-Schriftenreihe • Genießt euch und eure Kinder! Gelassen und lebensmutig den Selbstwert der Kinder stärken   Autorinnen: Astrid Egger, Elisabeth Kußtatscher

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