(Auszug aus • Ich geh aber nicht mit zum Wandern! Von Mathias Voelchert).
Kinder kooperieren immer – was können wir Eltern daraus lernen?
Was heißt das: Kinder kooperieren immer, wie Jesper Juul sagt?
Das heißt, dass sie mitmachen. Wobei mit mitmachen nicht gemeint ist, dass sie folgen, wie wir uns das oft vorstellen. Sondern, dass sie in ihrem Verhalten spiegeln, was gerade in der Familie los ist.
Das heißt, sie weinen, wenn die Eltern traurig sind?
Ja, zum Beispiel. Sie kooperieren mit den Gefühlen der Eltern. Oder sie können nicht lernen in der Schule, wenn die Elternbeziehung bis zum Bersten gespannt ist.
Es gibt auch spiegelverkehrte Kooperation. Wie sieht dann die aus?
Dafür gibt es ein ganz gutes Beispiel. Angenommen, die Mutter und die Tochter sind zu Hause, es klingelt, Tante Anna kommt zu Besuch. Die Mutter mag sie nicht besonders, das weiß auch die Tochter. Außerdem haben die beiden gerade schön gespielt, sie fühlen sich gestört durch den unangekündigten Besuch. Aber die Mutter zeigt davon nichts, als sie die Tür aufmacht. Sie lächelt ihre Schwester freundlich an. Aber ihr Kind, das sie auf dem Arm hat, dreht sich weg und fängt an zu weinen.
Das Kind drückt also die wahren Gefühle der Mutter aus?
Ja, die Kinder bringen zum Ausdruck, was die Erwachsenen unterdrücken.
Aber das würde ja heißen, dass die Kinder keine eigenen Gefühle entwickeln, die nicht von den Eltern abhängen. Es könnte doch ebenso gut sein, dass die Tochter einfach keine Lust hat, jetzt das schöne Spiel mit der Mutter zu unterbrechen. Und sich darum ärgert.
Ja, klar, das ist genauso möglich. Beides ist eine Hypothese, das Kind hat natürlich auch seine eigenen Befindlichkeiten.
Ganz verdreht würde es, wenn die Mutter ihre Tochter für ihre ablehnende Haltung der Tante gegenüber schimpfen würde. Nach dem Motto: »Was hast du denn, kannst du nicht freundlich sein zu Anna?«
Ja, dann macht die Mutter das Kind auch noch falsch dafür, dass es eigentlich zum Ausdruck bringt, was gerade los ist.
Aber wenn ein Kind sich im Supermarkt auf den Boden wirft, weil es keine Schokolade bekommt – kooperiert es dann auch?
Ja, und zwar mit etwas, das sich in der Familie abspielt. Vielleicht musste die Mutter mit sich ringen, überhaupt ein Nein auszusprechen. Vielleicht geht es in der Familie darum, dass man dem anderen nichts abschlagen darf. Offenbar ist es das Kind nicht gewohnt, Frustration auszuhalten. All das zeigt es, indem es sich auf dem Boden wälzt.
Da nützt es dann auch wenig, das Kind für sein Verhalten zu schimpfen.
Nein. Das Kind verhält sich, wie es sich verhalten kann. Es zeigt in seiner Reaktion, was es bisher gelernt hat.
Wenn das Kind sich also kooperativ verhält – wie würden wir dann mit diesem Verhalten ebenfalls kooperativ umgehen?
Die Mutter müsste zum Kind sagen: »Liebes Kind, wir haben einen großen Fehler gemacht, wir haben dir nicht beigebracht, mit Frustration umzugehen. Ich habe es nicht besser gewusst, ich werde das jetzt ändern. So ein Theater im Supermarkt wird es nicht mehr geben.«
Auszug aus • Ich geh aber nicht mit zum Wandern!
Die 50 häufigsten Familienkonflikte und wie Sie da gut wieder rauskommen. Autoren: Andrea Kästle, Mathias Voelchert
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