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“Das Buch, von dem du dir wünschst, deine Eltern hätten es gelesen” von  Philippa Perry

Dieses Buch tut einfach gut, und zwar Eltern und Fachleuten! Mathias Voelchert

Was machen wir, damit ein Kind selbstsicher und mutig wird? “Du schaffst Vertrauen, indem du zuverlässig bist, vertrauenswürdig, gütig”, sagt die britische Psychotherapeutin Philippa Perry.

Erziehung ist auch das: Ein in die Freiheit führen. “Wir reagieren nicht auf das, was geschieht, sondern auf das, was

Was machen wir, damit ein Kind selbstsicher und mutig wird? “Du schaffst Vertrauen, indem du zuverlässig bist, vertrauenswürdig, gütig”, sagt die britische Psychotherapeutin Philippa Perry.

Erziehung ist auch das: Ein in die Freiheit führen. “Wir reagieren nicht auf das, was geschieht, sondern auf das, was uns in der Vergangenheit angetan wurde.“

Philippa Perry entwickelt ihr Konzept von Erziehung aus einer Alltagssituation heraus. Ein kletterndes Kind. Eine genervte Mutter. “Das Kind steigt ganz nach oben. Und ruft dann: ‘Hilf mir runter!’ Die Mutter fühlt eine Welle des Zorns. Und brüllt: ‘Das schaffst du alleine!‘”

Am nächsten Tag klettert das Kind wieder. Jetzt verunsichert, ängstlich. Diesmal aber macht ihm die Mutter Mut, spricht ihm zu. Das Kind freut sich und fragt: “Warum hast du mir beim letzten Mal nicht geholfen?” – “Als die Mutter darüber nachdachte, verstand sie, dass sie früher nie klettern durfte, als sie im gleichen Alter war”, sagt Perry. “In diesem Moment war sie also eifersüchtig auf ihr Kind. Als das Kind nicht zurechtkam mit dem Klettern, was sie früher nie durfte, war sie wütend. Also sagte sie dem Kind: ‘Ich war eigentlich wütend mit Oma. Nicht mit dir. Ich war verwirrt.‘”

Perry entwickelt ihr Konzept von Erziehung aus Alltagssituationen heraus. Die Wunden aus der Vergangenheit haben großen Einfluss darauf, wie wir unsere Kinder erziehen. Perry: Nicht die Verletzung, nicht der Bruch ist das Entscheidende, sondern die Reparatur. Beziehungen repariert man, indem man seine Reaktionen ändert. “Kinder machen nicht das, was wir sagen. Sie machen, was wir machen. Wenn wir zum Beispiel stur und unflexibel sind – weil wir denken, dass wir immer streng sein müssen –, dann werden wir wahrscheinlich sture, unflexible Kinder bekommen.“

Perry schreibt über schmerzliche Erfahrungen aus der Kindheit.
Philippa Perry hat ein Buch geschrieben: “Das Buch, von dem du dir wünschst, deine Eltern hätten es gelesen.” Perry ist Psychotherapeutin – für Erwachsene. Erziehung kann ein schmerzhafter Prozess sein – für den Erziehenden. “Egal wie alt ihr Kind gerade ist – einen Monat, zehn Jahre, 32 Jahre – es bringt die Erinnerung deines eigenen Lebens zurück, als du genauso alt warst. Und weil du deinem Kind so nahestehst, wirst du ängstlich – stellvertretend für das Kind. Aus Angst, dass etwas, das dir passiert ist, auch ihm passiert. Manchmal wollen wir diese Gefühle nicht fühlen. Deshalb stoßen wir das Kind zurück, wenn es in dem Alter ist, in dem uns ein Trauma passiert ist.“

Die Fünfziger, Sechziger Jahre: Schläge gehörten immer noch zum Kinderalltag, galten als erfolgreiche Erziehungsmethode. Das Ergebnis: desaströse Eltern-Kind-Beziehungen. Die Gewalt, die heutige Großeltern selbst als Kinder erleben mussten, wirkt bis heute weiter. Erst seit 2000 sind in Deutschland alle Körperstrafen verboten.

Heute ist es normal, dass man seine Kinder öffentlich umarmt. Seine Kinder nicht nur lieben, sondern auch mögen wollen, schreibt Perry, ist die schwierigste Aufgabe. “Du willst, dass deine Kinder die ganze Zeit glücklich sind. Warum auch nicht? Die Sache ist die: Wenn wir nur wollen, dass die Kinder glücklich sind, dann neigen wir dazu, nicht empfänglich zu sein, wenn sie traurig oder wütend sind. Wir wollen das sofort reparieren. So schnell wie möglich. Die Kinder bekommen dann aber das Gefühl, dass sie nicht akzeptiert werden, wenn sie traurig oder wütend sind.“

Perry hat keinen Ratgeber geschrieben mit einfachen Kausalitäten: mach dies, dann passiert das. Es ist ein ganzheitlicher Versuch Kinder ernst zu nehmen, in dem man von ihren Gefühlen ausgeht, ihnen beim Ausdruck dieser Gefühle hilft und seine eigenen Gefühle zu verstehen lernt. “Nehmen wir an, du warst gestern mit deinem Kind in einem Freizeitpark. Und es war ein toller Tag! Am nächsten Tag kommt es zu dir und sagt: ‘Wir machen nie was zusammen!’ Anstelle zu sagen: ‘Aber wir haben doch gestern was Schönes zusammen gemacht’ … höre lieber auf das Gefühl, reagiere darauf: ‘Du klingst, als sei dir langweilig. Was magst du denn machen?’ Und dann wird das Kind dir sagen: ‘Ich will zurück nach Legoland.’ Dann sagst du: ‘Ja, das hat Spaß gemacht, nicht wahr?’ Das ist ein Moment der Verbindung. Es passiert so oft, dass wir aus Momenten der Verbindung Momente der Verbesserung machen. Und das trennt uns von unseren Kindern.“

Das Ziel: Frei sein von alten Erziehungsdynamiken, vom Gewinner-Verlierer Spiel, bei dem Eltern anordnen und Kinder ausführen. Stattdessen: Verstehen wollen. “Warum müssen wir die Kinder immer bevormunden? Vielleicht damit wir Macht über sie haben. Es ist ein Missbrauch der Macht, wenn wir etwa sagen: ‘Du bist müde, du musst jetzt ins Bett!’ Klingt gar nicht so falsch. Aber was wir wirklich machen sollten, ist statt die Kinder zu definieren: uns selbst zu definieren. Vielleicht so: ‘Ich bin müde. Also will ich, dass du ins Bett gehst, damit ich auch ins Bett gehen kann.’ Wir sollten erlauben, dass unsere Kinder uns beeinflussen. So dass wir ihre Welt aus ihrer Sicht sehen können. Nicht nur auf ihre Welt blicken von unserem Standpunkt aus.“

Die eigenen Brüche reparieren, indem wir uns selbst prüfen, erkennen – und: vielleicht vergeben. Erziehung – und Mut – beginnt mit dieser Frage: Welcher Mensch wollen wir sein?
Autor: Andreas Krieger, Quelle: ttt – das Erste

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