Liebespaar-Partnerschaft

Ihre Partnerschaft ist ihr erstes Kind

Ein familylab-coaching mit Jesper Juul

Sehr geehrter Herr Jesper Juul,
ich bin scheinbar eine typische junge Karrierefrau mit einem lieben Mann und einer genauso lieben Tochter von 5 Jahren. Mein Problem besteht darin, dass mein Mann auf unsere Tochter eifersüchtig geworden ist, da er meint, dass sie zu viel Aufmerksamkeit von mir bekommt. Vielleicht hat er nicht so ganz Unrecht, allerdings fühle ich mich ernsthaft in die Klemme getrieben. Ich komme in der Regel nach Hause, nachdem mein Mann unsere Tochter aus dem Kindergarten geholt hat. Wenn ich das Haus betrete, kommt sie zu mir angelaufen und möchte alles Mögliche tun: vom Kindergarten erzählen, spielen, ein Video ansehen usw. Ich habe ohnehin schon ein schlechtes Gewissen, da ich spät nach Hause komme, und kann unsere Tochter dann einfach nicht abweisen. Dafür weise ich allerdings den Mann ab, den ich über alles liebe, sodass mein Schuldgefühl immer größer wird. Ich glaube, ich schaffe das alles nicht. Was soll ich bloß tun? HILLLLFE!!! (Eine viel beschäftigte Mutter und Ehefrau).

Vielen Dank für Ihren Brief, in dem Sie eine weit verbreitete Problemstellung im heutigen Familienleben schildern. Seit über hundert Jahren ist es schon so gewesen, aber erst vor einer Generation gab es ganz andere Erwartungen an eine Partnerschaft mit Kindern. Außerdem hatten Frauen ganz andere Erwartungen an sich selbst. Man könnte sagen, dass Sie in eine Situation geraten sind, in der sich immer die Männer befunden haben, doch ganz so ist es auch nicht. Damals wurde von den Männern nicht erwartet, dass sie ein integrierter Teil des Betreuungssystems und des Alltagsablaufs der Familie sind. Sie waren lediglich die Ernährer. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Ihr Dilemma unlösbar ist. Es ist vielmehr ganz einfach zu lösen. Wenn man meint, in der Klemme zu stecken, muss man Prioritäten setzen. Man muss die entsprechenden Entscheidungen treffen, um seine Selbstachtung und seine Beziehungen zu bewahren. Wenn man eine Familie ist, und obendrein eine glückliche, ist es nicht schwer, auf die klügste Priorität hinzuweisen: Das Beste, was man seinem Kind antun kann, ist die gute Pflege der Beziehung zu seinem Partner. Dies wünschen sich Kinder am allermeisten. Nicht sofort, wenn sie Lust auf etwas verspüren und etwas brauchen, aber auf lange Sicht. Kinder wissen genau, worauf sie Lust haben, aber ahnen nicht, was sie brauchen. Deshalb sind ihre Eltern so wichtig für sie, denn sie können den Unterschied erkennen und die nötigen Entscheidungen treffen.

Ihr Mann ist kaum so eifersüchtig, wie er z.B. auf einen anderen Mann wäre, aber es besteht kein Zweifel, dass er Sie vermisst und gerne mehr Zeit mit Ihnen zusammen verbringen möchte. Uns Männern fällt es oft schwer, dies an uns selbst zu erkennen, und noch schwerer fällt es uns, dies einfach und persönlich auszudrücken. Wir sagen nicht, was wir vermissen oder gerne haben möchten, sind allerdings über das frustriert, was wir nicht bekommen.

Lassen Sie mich zuerst Ihnen und dann Ihrem Mann etwas sagen.

Wenn Sie nach Hause kommen und Ihre Tochter sie stürmisch begrüßt, lassen Sie sich von ihr küssen und umarmen und hören ihr einige Minuten zu. Daraufhin sagen Sie zu ihr: “Jetzt müssen wir mal kurz aufhören, denn ich möchte auch Papa gerne begrüßen.” Dann gehen Sie ins Wohnzimmer, geben Ihrem Mann einen Kuss und setzen sich zu ihm, entspannen sich und schweigen. Wenn Sie sich näher gekommen sind und festgestellt haben, dass Sie sich noch immer lieben, können Sie Ihre Tochter mit einbeziehen. In der Zwischenzeit hat sie sich vermutlich entweder dicht an Ihren Rücken gelehnt oder einfach nur den Anblick und das Gefühl der Liebe ihrer Eltern genossen. Ihr geht es ausgezeichnet, ohne dass ihr irgendetwas fehlt.

Möglicherweise wird es ein paar Tage dauern, bis sich Ihre Tochter daran gewöhnt hat, nicht mehr Ihre alleinige Aufmerksamkeit zu bekommen. Da diese allerdings mit etlichen Schuldgefühlen einhergeht, ist sie nicht viel wert. Einzig und allein durch seinen Unverstand meint das Kind, etwas Wertvolles zu bekommen. Sollte Ihre Tochter frustriert darauf bestehen, müssen Sie ihr einfach den Rücken kehren und zu Ihrem Mann ins Wohnzimmer gehen. Die Frustration wird sich innerhalb weniger Tage legen, wenn sie merkt, dass das, was sie anstelle dessen bekommt, viel besser ist.

Sollten Sie dies nicht alleine schaffen, möchte ich Ihrem Mann gerne Folgendes sagen: Ihre Frau braucht jetzt Hilfe. Wenn sie einfach nicht selbst zu Ihnen kommen kann, dann müssen Sie auf den Flur oder in die Küche gehen, sie umarmen und zu Ihrer Tochter sagen: “Ich möchte gleich ein wenig mit deiner Mutter zusammen sein, und dann werden wir uns mit dir beschäftigen.” Unabhängig von ihrer Reaktion führen Sie Ihre Frau zum nächstgelegenen Sessel oder Sofa, nehmen sie auf den Schoß und halten sie fest. Frauen können fast alles selbst, aber ihr Mutterinstinkt ist so dominierend, dass sie manchmal daran erinnert werden müssen, dass sie auch Frauen und Partnerinnen sind. Eine der wichtigsten Funktionen des Mannes und des Vaters in der Familie besteht darin, dafür zu sorgen, dass die Frau nicht in ihrer Mutterrolle ertrinkt und der Mann selbst auch nicht in seiner Vaterrolle. Ähnlich wie Ihre Tochter müssen Sie es eventuell ertragen, einige Male abgewiesen zu werden. Doch das überleben Sie allemal, sollten Sie nicht in Egozentrik versinken – den am wenigsten verführerischen Zustand, den wir kennen. Viel Vergnügen!

Einige Paare versuchen, dieses Dilemma zu lösen, indem sie ein festes monatliches Übereinkommen haben, gemeinsam auszugehen. Dies ist auf jeden Fall eine gute Idee. Am allerwichtigsten ist es aber zu trainieren, dass die Partnerschaft oberste Priorität hat, wenn man mit seinem Kind zusammen ist. In einer Familie, die nicht auf eine Dienstleistungsveranstaltung für Kinder reduziert werden darf, muss ganz einfach Platz für die erwachsenen Bedürfnisse der Erwachsenen sein. Ihre Partnerschaft mit all ihrer Zärtlichkeit, ihrer Nähe und ihrem erotischen Spiel ist Ihr erstes Kind. Dieses Kind erfordert die gleiche liebevolle Aufmerksamkeit wie das Kind, das Sie geboren haben.

Foto von Cody Black auf Unsplash

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