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Die Philosophin Bettina Stangneth über das Lügen und Aufstacheln in Trumps Amerika

„Viele Menschen suchen die Pose des Starken, um sich stark zu fühlen.“ Arno Gruen

Die Philosophin Bettina Stangneth über das Lügen
und Aufstacheln in Trumps Amerika

Quelle: BR2 Kulturwelt

 

Moderatorin Barbara Knopf: Was macht das Besondere von Trump’s Lügen aus? Es ist ein Lügner, der das einhält, was er verspricht in seinen Lügen: “If I cannot have it my way, i’ll burn the country down”, so Trump.

 

Bettina Stangneth, Philosophin: Ja, Trump lügt viel weniger, als man denkt, meist sagt er genau was er so will, aber er macht es auf eine Art und Weise, dass vernünftige Menschen sagen, das kann doch nicht sein, dass er das so meint. Das genau ist der blinde Fleck, den Lügner ausnutzen. Jemand der lügt, macht uns ein Angebot und es braucht immer jemanden der das mitmacht, der sich dem anschließt. Ob aus voller Überzeugung oder nicht. Die Lüge, als Lüge, ist immer eine deal zu beiderseitigem Vorteil oder der Hoffnung darauf.

 

Barbara Knopf: Da geht er in eine sehr starke Beziehung zu seinen Anhängern, “ich kenne euren Schmerz“ sagt Trump, die Anhänger fühlen sich regelrecht erhört.

Bettina Stangneth: Es ist noch viel mehr, die Lüge ist immer schon eine Gemeinschaft, da ich als Lügner eine Menge erzählen kann, aber keine Lüge draus wird, wenn mir keiner glaubt, ist die Lüge der Inbegriff einer Gemeinschaft. Diese Gemeinschaft hat eine besondere Kraft. Wir kommen normalerweise gegen die Wirklichkeit nicht an, die ist einfach da, wie eine Tür, da kann ich dagegen laufen, die bleibt aber da. Die einzige Möglichkeit die Wirklichkeit auf Distanz zu setzen, ist ein kollektiver Entschluss sie nicht zur Kenntnis zu nehmen.   Dazu muss man nicht die gleichen Interessen vertreten, man muss nur diese Lügengemeinschaft als Lügengemeinschaft etablieren. Dazu braucht es den Lügner, der das vortanzt sozusagen, und es braucht die anderen, die sich dem dann anschließen. Das hat den großen Vorteil, dass man dann hinterher sagen kann, ich bin ein Opfer gewesen, er hat mich ja belogen, ich habe damit nichts zu tun. Ich bin in die Falle gelaufen.

 

Quatsch, wir wissen darüber genug, wie das alles funktioniert. Die Lüge ist ein Handlungsraum, der sich eröffnet in dem ich Dinge tun kann, die die Wirklichkeit nicht ermöglicht.

 

Barbara Knopf: Und zu diesem Handlungsraum gehört diese Opfererzählung. Zugleich mischt Trump das mit einer Stärke-Rhetorik: “Man muss stark sein, um unser Land zurückzuerobern.”

 

Bettina Stangneth: Das ist eine der ‚besten’ Funktionen, die die Lüge hat, nämlich, dass sie gleichzeitig neben diesem Handlungsraum, das Vertrauen in alles andere erschüttert. Und das auch muss, nämlich das, was über die Wirklichkeit gesagt ist. Das führt dazu, dass man einen Opferstatus für alle etabliert. Wir sind die Opfer von Mainstreamgerede, von Manipulation, es ist in Wirklichkeit ganz anders. Was heißt das? Es heißt, dass ich Notwehr als Recht legitimiere. Wenn ich ein Opfer bin, darf ich mich wehren mit allen Mitteln. Und gleichzeitig, und das ist der heroische Part, den Trump spielt, den Widerstand etabliert. Also zu sagen: Ich bin nicht nur ein armes Opfer, ich bin auch ein Widerstandskämpfer. Das hat eine unglaubliche Faszination.

 

Barbara Knopf: Es finden auch einige Umcodierungen und Verdrehungen statt: Die Stürmung des Capitals wurde von Anhängern als ‘patriotischer Akt’ empfunden. Die Black Life Matter-Proteste wurden als das Chaos bezeichnet, die rechten Milizen aber als das ‘gute Amerika‘, da gibt es kein Fundament mehr auf dem man sich bewegt.

 

Bettina Stangneth: Es gibt noch eine Steigerung, nachdem Trump sich ein ganz klein wenig distanziert, also abliefert, was man in solchen Rollen dann spielt, nämlich: Ich bin dagegen. Kommt gleich die nächste Verschwörungstheorie und die heißt: Das waren gar nicht die Anhänger von Trump, das waren Antifa-Leute die da rumgeputscht haben, und so getan haben als wären sie Anhänger, um wieder einmal den tollen Ruf unseres tollen Präsidenten zu schädigen. Diese Spirale ist endlos spielbar, weil ihr das Korrektiv der Wirklichkeit fehlt. Wenn ich immer nur meine Geschichten erzähle, damit ich tun kann, was ich tun will, dann kann die Wirklichkeit auch nicht mehr korrektiv wirken, weil wir uns einig sind in dieser Gemeinschaft.

 

Es gab Tote und Straftaten, das ist der wesentliche Unterschied, man sagt dann ja gerne: Ja, es lügen ja alle in der Politik, in der Politik wird nicht immer die Wahrheit gesagt. Das ist die alte Falle, mit der sich Lügengemeinschaften unkenntlich machen, aber wenn ich eben Scheiben einschlage, in ein Gebäude eindringe, Menschen verletzte, begehe ich eine Straftat. Dann habe ich mich in den Raum der Wirklichkeit hineinbegeben. Bin also nicht mehr in diesem Raum, den ich künstlich geschaffen habe. Dann bin ich verantwortlich, und stehe allein mit den Konsequenzen da. Das hat Trump auch gesagt, er ist für die volle Härte des Gesetzes, er kommt nicht und bezahlt ihre Anwaltsgebühren. Da ist es dann vorbei mit der Gemeinschaft.

 

Bettina Stangneth: Die Lüge ist ein Machtverhältnis. Sie können niemanden zwingen ihnen auch zu glauben. Dieses Machtverhältnis setzt voraus, dass dort jemand ist, der eine gewisse Macht hat, mich schützen kann, oder Geld hat, um mich frei kaufen zu können. Wenn der aber sein Amt verloren hat, dann verlassen die Ratten das sinkende Schiff.

 

Barbara Knopf: Biden beschwört daraufhin das Bekenntnis in die Rechtsstaatlichkeit.

 

Bettina Stangneth: Es gib diese Lügengemeinschaft, dann ist das nicht nur dieser kuschelige Verein, sondern es ist der Angriff auf die vernünftige Weltorientierung, wie bei Trump gesehen, es ist der Angriff auf die Wissenschaft, der Angriff auf die Zahlen, auf die Wahlergebnisse, also auf die Fakten. Wenn ich mich wieder einigen möchte mit den Menschen, dann muss ich etwas propagieren, was die Lüge auflöst. Ich muss sagen, es gibt die Idee eines allgemeinen Interesses an der Welt. Es gibt nicht nur mein Land und dein Land, es gibt das Land, das für alle da ist, weil es eine Welt gibt, die für alle da ist. Es gibt die allgemeine Abhängigkeit von der Wirklichkeit. Das ist der Weg um Menschen aus ihren Lügengemeinschaft, Distanzgemeinschaften herauszuholen.

 

Barbara Knopf: Sie Schreiben in Ihrem Buch »Böses Denken«, darin schreiben Sie: “Wer das Böse bekämpfen will, muss es zunächst erkennen, es kommt mit verführerisch, schlüssigen Argumenten.“ Hat der Sturm auf das Capitol etwas Neues freigelegt?

 

Bettina Stangneth: Nein, es liegt vollkommen in der Logik dieser Ankündigungen, die es über Monate über Jahre gegeben hat. Trump hat die Geschichte vom gestohlenen Wahlsieg schon Jahre vor dem Wahlkampf erzählt, weil das die Taktik ist, die man anwendet, um vorzubauen, wenn man verliert. Es ist das auseinanderdividieren der Menschen in unterschiedliche Gruppen, das hat es immer gegeben. Was daraus wird, das entschiedet sich dann, wie wir damit umgehen. Wie wir uns den Deutungsraum zurückerobern. Wenn wir an der Wirklichkeit orientiert sind, haben wir die größere Macht hinter uns, nämlich die Wirklichkeit.

 

Quelle: BR2 Kulturwelt ab: 06:15

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Photo by Annie Spratt on Unsplash

 

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