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Der innere Schatten • Ein unbequemer Wegbegleiter

Gewisse Aspekte unserer Persönlichkeit stellen wir ins Licht, andere geraten in den
Schatten. Doch die verdrängten Anteile führen ein geheimnisvolles Eigenleben - und
bergen ein ungeahntes Potenzial. Quelle: BR 2, von Prisca Straub

"Früher, da habe ich immer gesagt: Fußballer, das sind sogenannte Mikrozephaloi - die
haben krankhafte Kleinhirnbildung, schräge Stirn, und da ist nichts dahinter! Bis ich
erkannt habe: 'Mathias, das ist Dein Schatten! Das hättest Du als Junge gebraucht! In
einer Mannschaft zu sein! Tore zu schießen! Die Anerkennung der anderen zu haben!' Ich
werte etwas ab, weil ich es selber nicht habe!“

"(…) Ich habe viele Jahre auf meine erfolgreichen Ärztebrüder einfach einen Neid gehabt -
einen banalen, harten, primitiven Neid. Ich habe sie als Schulmediziner innerlich
abqualifiziert. Warum? Weil ich selber noch keinen "Erfolg" in Anführungszeichen hatte.
In dem Maße, als ich mich entwickelt habe, konnte ich das zurückdrängen und konnte
auch meine Kleinkariertheit, meine Schäbigkeit erkennen. Das ist ein schmerzlicher
Prozess. Die Schatten-Arbeit ist alles andere als ein Kuschel-Kurs." sagt Mathias Jung,
Psychologe und Autor
Kein Kuschel-Kurs - sondern harte Arbeit! Das kann, aber muss nicht im Rahmen einer
Therapie geschehen. Manchmal genügt schon der ehrlichgemeinte Versuch, die eigene
Haltung kritisch zu überprüfen. Um sozusagen ein wenig Licht ins Dunkle zu bringen,
wie Verena Kast es formuliert: "Das ist eine gute Methode, also immer dann, wenn ich so
sicher bin, dass ein anderer Mensch so und so ist. Und wenn das natürlich nicht positive
Sachen sind, sondern negative Sachen. Dann finde ich es sehr wichtig, dass man sich
fragt, könnte das eine verdrängte Seite von mir sein?!

(…) Die Hürde ist sehr hoch. Denn wenn wir uns schämen, dann zerbröselt unser
Selbstwertgefühl und wir würden am liebsten im Boden verschwinden. Und das heißt, im
Grunde auch: Wir können uns mit Schattenaspekten dann konfrontieren, wenn wir ein
verhältnismäßig stabiles Selbstwertgefühl haben. Es ist aber andererseits auch so, dass
wenn wir uns mit Schattenaspekten konfrontieren und ein Selbstbild von uns haben, dass
wir auch ganz schurkenhafte Ideen haben. Das gibt auch noch einmal ein besseres
Selbstbild. Weil wir dann nicht einem Ideal nachrennen, das wir gar nicht verwirklichen
können.“ sagt Verena Kast.

"C. G. Jung ging einfach davon aus, dass wir Menschen eine Tendenz haben, uns der Welt
etwas schöner zu präsentieren, als wir im Grunde genommen sind. Dass wir uns aber
überhaupt der Welt präsentieren müssen. Wir machen uns Gedanken darüber, wie wir
uns anziehen. Wir machen uns Gedanken darüber, wie wir wirken wollen - und das ist
sozusagen in der Jungschen Terminologie die Persona. Also: Wie möchte ich, dass ich von
außen gesehen werde. Und das ist psychologisch gesehen auch das Ich-Ideal: So möchte
ich, dass man mich sieht, Und immer dann, wenn wir versuchen, etwas schöner zu sein
als wir sind, wenn wir möglichst gute Seiten von uns ins Licht setzen, dann sind andere
Seiten von uns im Schatten. Und das ist das Konzept. Also dieses: Wir müssen in der Welt
etwas darstellen - und das können wir mehr oder weniger schön machen. Und das
bedeutet aber auch, dass wir andere Seiten an uns verdrängen, sie selber nicht
wahrhaben wollen. (…)

Man muss sich das dynamisch vorstellen. Weil wir immer etwas ins Licht stellen, weil wir
uns immer in einer gewissen Art präsentieren, wird immer wieder etwas anderes zum
Schatten. Und das kann natürlich relativ oberflächlich sein: Also zum Beispiel: Menschen,
die sehr gern sehr schön aussehen, die können zum Beispiel alles, was nicht ganz schön
ist an ihnen, furchtbar verbergen wollen. Das wäre dann ein eher oberflächlicher
Schatten. Dann aber auf der Ebene des eigenen Wesens: Wer zum Beispiel großzügig sein
will, der kann die Großzügigkeit ungeheuer zelebrieren und damit verbergen wollen,
dass er im Grunde genommen irgendwo auch total kleinlich ist. Freundliche Menschen
das Unfreundliche. Liebevolle Menschen das, was eben nicht liebevoll ist. Es geht bei
diesem Konzept darum, dass wir eben nie einseitig nur gut sind. Aber auch nie einseitig
nur schlecht, sondern dass beides da ist." sagt Verena Kast, Professorin für Psychologie
an der Universität Zürich sowie Dozentin und Lehranalytikerin am C. G. Jung-Institut.

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Photo by Martino Pietropoli on Unsplash

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